
Landwirtschaftliche Biodiversität spielt eine entscheidende Rolle für die Stabilität und Produktivität von Agrarökosystemen. Sie umfasst die Vielfalt an Nutzpflanzen, Nutztieren, Wildarten und Mikroorganismen, die direkt oder indirekt zur Nahrungsmittelproduktion beitragen. In Zeiten des Klimawandels und wachsender Ernährungsunsicherheit gewinnt die Erhaltung und Förderung der Agrobiodiversität zunehmend an Bedeutung. Sie stärkt die Widerstandsfähigkeit von Anbausystemen, verbessert die Bodengesundheit und trägt zur nachhaltigen Intensivierung der Landwirtschaft bei.
Ökosystemare Funktionen der landwirtschaftlichen Biodiversität
Die vielfältigen Funktionen der Agrobiodiversität gehen weit über die reine Nahrungsmittelproduktion hinaus. Eine hohe genetische und artliche Vielfalt in Agrarökosystemen erfüllt zahlreiche ökosystemare Dienstleistungen. Dazu gehören die natürliche Schädlingsregulation durch Nützlinge, die Bestäubung von Nutzpflanzen, der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit sowie die Förderung von Nährstoffkreisläufen.
Besonders wichtig ist die Rolle der Bodenbiodiversität. Ein vielfältiges Bodenleben aus Bakterien, Pilzen und Kleinstlebewesen verbessert die Bodenstruktur, erhöht die Wasserspeicherkapazität und fördert den Humusaufbau. Dies steigert nicht nur die Produktivität, sondern macht Böden auch widerstandsfähiger gegen Erosion und Austrocknung.
Oberirdisch erfüllen Bestäuber wie Bienen, Hummeln und Schwebfliegen eine Schlüsselfunktion für die Ertragsbildung vieler Kulturpflanzen. Schätzungen zufolge hängen 75% der weltweit wichtigsten Nutzpflanzen von der Insektenbestäubung ab. Eine hohe Bestäubervielfalt sichert stabile Erträge auch unter sich ändernden Umweltbedingungen.
Nicht zuletzt trägt die funktionelle Biodiversität zur natürlichen Regulation von Schadorganismen bei. Nützlinge wie räuberische Insekten, Spinnen oder insektenpathogene Pilze können Schädlingspopulationen effektiv begrenzen und den Bedarf an chemischem Pflanzenschutz reduzieren.
Genetische Vielfalt in Nutzpflanzen und Nutztieren
Die genetische Vielfalt innerhalb von Nutzpflanzen- und Nutztierarten bildet die Grundlage für Züchtung und Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen. Sie ist von unschätzbarem Wert für die langfristige Ernährungssicherheit. Traditionelle Landsorten und lokale Nutztierrassen verfügen oft über wertvolle Eigenschaften wie Trockenheits- oder Krankheitsresistenzen.
Allerdings ist die genetische Vielfalt in der modernen Landwirtschaft stark zurückgegangen. Von einst über 7000 Kulturpflanzenarten werden heute nur noch etwa 150 kommerziell genutzt. Dabei decken Weizen, Reis und Mais allein 60% des weltweiten Kalorienbedarfs. Diese genetische Verarmung macht Anbausysteme anfällig für Schädlinge und Krankheiten.
In-situ-Erhaltung traditioneller Sorten und Rassen
Um dem Verlust genetischer Ressourcen entgegenzuwirken, gewinnt die In-situ-Erhaltung an Bedeutung. Dabei werden traditionelle Sorten und Rassen in ihren ursprünglichen Anbaugebieten von Landwirten weiterkultiviert. Dies ermöglicht eine fortlaufende Anpassung an lokale Umweltbedingungen. In-situ-Projekte verbinden oft den Erhalt genetischer Vielfalt mit der Förderung lokaler Ernährungssouveränität.
Ein Beispiel ist das Parque de la Papa in Peru, wo indigene Gemeinschaften über 1300 traditionelle Kartoffelsorten anbauen und weiterentwickeln. Solche Initiativen sichern nicht nur wertvolle Gene, sondern auch traditionelles Wissen über Anbau und Nutzung.
Ex-situ-Genbanken: Das Svalbard Global Seed Vault
Ergänzend zur In-situ-Erhaltung dienen Ex-situ-Genbanken der langfristigen Sicherung pflanzengenetischer Ressourcen. Das bekannteste Beispiel ist das Svalbard Global Seed Vault auf Spitzbergen. In dieser „Arche Noah der Pflanzenwelt“ lagern Saatgutproben von über einer Million Kulturpflanzensorten aus aller Welt bei -18°C.
Die Genbank dient als Backup für nationale Sammlungen und soll im Notfall die Wiederherstellung verlorener Vielfalt ermöglichen. Allerdings kann sie die dynamische Anpassung von Sorten unter Feldbedingungen nicht ersetzen.
Partizipative Pflanzenzüchtung für lokale Anpassung
Ein vielversprechender Ansatz zur Nutzung und Weiterentwicklung genetischer Vielfalt ist die partizipative Pflanzenzüchtung. Hierbei arbeiten Züchter eng mit Landwirten zusammen, um Sorten zu entwickeln, die optimal an lokale Bedingungen und Bedürfnisse angepasst sind.
Diese Methode hat sich besonders in kleinbäuerlichen Systemen des globalen Südens bewährt. Sie verbindet wissenschaftliche Expertise mit traditionellem Wissen und fördert die Agrobiodiversität „von unten“. Zudem stärkt sie die Autonomie der Bauern gegenüber kommerziellen Saatgutanbietern.
Crispr-Cas9 in der Agrobiodiversitätsforschung
Neue gentechnische Verfahren wie CRISPR-Cas9
eröffnen neue Möglichkeiten für die Erforschung und Nutzung genetischer Vielfalt. Mit dieser „Genschere“ lassen sich gezielt einzelne Gene modifizieren, ohne artfremde DNA einzuführen. Dies könnte die Entwicklung lokal angepasster Sorten beschleunigen.
Allerdings ist der Einsatz von CRISPR in der Pflanzenzüchtung umstritten. Kritiker warnen vor unbeabsichtigten Nebeneffekten und einer weiteren Konzentration der Saatgutindustrie. Die Technologie birgt Chancen und Risiken für die Agrobiodiversität, die sorgfältig abgewogen werden müssen.
Biodiversitätsmanagement in verschiedenen Anbausystemen
Die Förderung von Biodiversität in Agrarökosystemen erfordert angepasste Managementstrategien. Je nach Anbausystem und lokalen Bedingungen kommen unterschiedliche Ansätze zum Einsatz. Ziel ist es, die funktionelle Vielfalt zu erhöhen und natürliche Regulationsmechanismen zu stärken.
Mischkulturen und Agroforst: Das Taungya-System
Mischkultursysteme nutzen die komplementären Eigenschaften verschiedener Pflanzenarten. Ein Beispiel ist das Taungya-System , das in den Tropen entwickelt wurde. Hierbei werden Bäume gemeinsam mit einjährigen Feldfrüchten angebaut. In den ersten Jahren profitieren die Bäume vom Schutz der Feldfrüchte, später bieten sie Schatten und verbessern das Mikroklima.
Solche Agroforstsysteme fördern die oberirdische Biodiversität und tragen zur Bodenverbesserung bei. Sie ermöglichen eine diversifizierte Produktion auf begrenzter Fläche und sind besonders für Kleinbauern attraktiv.
Integrierter Pflanzenschutz durch Nützlingsförderung
Der integrierte Pflanzenschutz setzt auf die gezielte Förderung von Nützlingen zur biologischen Schädlingsregulation. Durch die Anlage von Blühstreifen, Hecken oder Steinwällen werden Lebensräume und Nahrungsquellen für natürliche Gegenspieler von Schädlingen geschaffen.
Studien zeigen, dass eine hohe Nützlingsvielfalt den Befall mit Schadinsekten deutlich reduzieren kann. In Obstanlagen konnten durch gezielte Habitatgestaltung Ernteverluste um bis zu 50% gesenkt werden. Die Nützlingsförderung ermöglicht eine Reduktion von Pestiziden bei gleichzeitiger Ertragssicherung.
Permakultur: Prinzipien und Praxis nach Bill Mollison
Die Permakultur nach Bill Mollison verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz zur Gestaltung nachhaltiger Agrarsysteme. Sie orientiert sich an natürlichen Ökosystemen und nutzt deren Prinzipien für die Landwirtschaft. Zentrale Elemente sind die Förderung von Vielfalt, geschlossene Nährstoffkreisläufe und die optimale Nutzung von Energie und Ressourcen.
In der Praxis zeichnen sich Permakultur-Systeme durch eine hohe strukturelle und funktionelle Diversität aus. Mehrjährige Pflanzen, Fruchtfolgen und Mischkulturen bilden die Basis. Tierintegration und Wassermanagement ergänzen das Konzept. Obwohl primär für Kleinbetriebe entwickelt, lassen sich Permakultur-Prinzipien auch in größeren Systemen anwenden.
Präzisionslandwirtschaft zur Schonung von Biodiversitätshotspots
Moderne Technologien der Präzisionslandwirtschaft bieten Möglichkeiten, Biodiversität auch in intensiven Anbausystemen zu fördern. Durch GPS-gesteuerte Maschinen und Sensortechnik lassen sich Managementmaßnahmen kleinräumig anpassen. So können wertvolle Biotope oder Brutstätten geschont werden.
Die teilflächenspezifische Bewirtschaftung ermöglicht zudem eine bedarfsgerechte Düngung und Pflanzenschutzmittelapplikation. Dies reduziert negative Auswirkungen auf Nichtzielorganismen und fördert die Biodiversität im Boden und auf der Fläche.
Auswirkungen der Agrobiodiversität auf Erntequalität und -sicherheit
Eine hohe Agrobiodiversität wirkt sich positiv auf Qualität und Stabilität der Ernteerträge aus. Vielfältige Anbausysteme sind weniger anfällig für Totalausfälle durch Schädlinge oder extreme Wetterereignisse. Die funktionelle Diversität verbessert zudem die Nährstoffverfügbarkeit und das Bodenleben, was sich in höheren Gehalten an wertvollen Inhaltsstoffen niederschlägt.
Studien zeigen, dass Obst und Gemüse aus biodiversen Anbausystemen oft höhere Gehalte an sekundären Pflanzenstoffen aufweisen. Diese bioaktiven Substanzen sind nicht nur gesundheitsfördernd, sondern tragen auch zu Geschmack und Haltbarkeit bei. Die Vielfalt im Anbau spiegelt sich somit in der Vielfalt auf dem Teller wider.
Für die langfristige Ernährungssicherheit ist die Erhaltung genetischer Vielfalt von zentraler Bedeutung. Sie bildet die Basis für die Züchtung klimaangepasster Sorten und ermöglicht eine flexible Reaktion auf neue Herausforderungen wie Krankheiten oder Schädlinge.
Ökonomische Bewertung und Inwertsetzung von Agrobiodiversität
Die ökonomische Bewertung von Agrobiodiversität ist komplex, da viele ihrer Leistungen nicht direkt marktfähig sind. Dennoch lassen sich erhebliche volkswirtschaftliche Werte beziffern. So wird der globale Wert der Bestäubungsleistung von Insekten auf jährlich 153 Milliarden Euro geschätzt.
Innovative Ansätze zur Inwertsetzung von Agrobiodiversität umfassen Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen, Zertifizierungssysteme für biodiversitätsfreundliche Produktion oder die Vermarktung traditioneller Sorten als Spezialitäten. Ein Beispiel ist das Slow Food Presidio -Programm, das lokale Produkte mit hohem Biodiversitätswert fördert.
Auch auf betrieblicher Ebene kann sich Biodiversitätsmanagement ökonomisch lohnen. Durch Reduktion von Inputs, Risikominimierung und Erschließung neuer Märkte können Landwirte ihre Wirtschaftlichkeit verbessern. Allerdings sind oft Investitionen und längerfristige Planung erforderlich.
Politische Rahmenbedingungen zum Schutz der landwirtschaftlichen Biodiversität
Der Schutz und die nachhaltige Nutzung von Agrobiodiversität erfordern unterstützende politische Rahmenbedingungen. Auf internationaler Ebene bildet das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) die Grundlage für nationale Strategien und Aktionspläne.
Nagoya-Protokoll: Vorteilsausgleich für genetische Ressourcen
Das Nagoya-Protokoll regelt den Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich. Es soll sicherstellen, dass Herkunftsländer und indigene Gemeinschaften an den Gewinnen aus der Nutzung ihrer genetischen Ressourcen beteiligt werden. Die
Umsetzung dieses Protokolls stellt Herkunftsländer und Nutzer vor große Herausforderungen. Kritiker bemängeln zudem, dass es die Nutzung genetischer Ressourcen eher behindert als fördert.
Förderung von Agrarumweltmaßnahmen durch die GAP
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU ist ein wichtiges Instrument zur Förderung von Biodiversität in der Landwirtschaft. Über die sogenannte „zweite Säule“ werden Agrarumweltmaßnahmen finanziert, die gezielt dem Erhalt der biologischen Vielfalt dienen. Dazu gehören beispielsweise die Anlage von Blühstreifen, der Erhalt von Streuobstwiesen oder die extensive Grünlandnutzung.
Mit der GAP-Reform 2023 wurden die Umweltauflagen für Direktzahlungen verschärft. Das neue Instrument der „Öko-Regelungen“ soll Landwirte zu zusätzlichen freiwilligen Umweltleistungen motivieren. Allerdings wird kritisiert, dass die Mittel für den Biodiversitätsschutz noch immer zu gering sind. Zudem fehlt es oft an zielgerichteten, ergebnisorientierten Maßnahmen.
Zertifizierungssysteme für biodiversitätsfreundliche Produktion
Zertifizierungssysteme können Anreize für eine biodiversitätsfreundliche Landwirtschaft schaffen und die Vermarktung entsprechender Produkte unterstützen. Ein Beispiel ist das Biodiversity Add-On für Bio-Betriebe, das vom FiBL entwickelt wurde. Es definiert Kriterien für die Förderung von Agrobiodiversität, die über die EU-Bio-Verordnung hinausgehen.
Auch konventionelle Landwirte können sich nach Standards wie Biodiversity in Good Company oder dem Biodiversity Check Agrarbetriebe zertifizieren lassen. Diese Systeme sind noch relativ neu und ihre Marktdurchdringung bisher gering. Sie könnten aber in Zukunft an Bedeutung gewinnen, wenn Verbraucher verstärkt auf biodiversitätsfreundliche Produktion achten.
Insgesamt zeigt sich, dass der Schutz der Agrobiodiversität vielfältige Ansätze auf allen Ebenen erfordert – von der Betriebsebene über nationale Förderprogramme bis hin zu internationalen Abkommen. Entscheidend ist dabei die Einbindung der Landwirte als zentrale Akteure. Nur wenn Biodiversitätsschutz auch ökonomisch attraktiv ist, wird er in der Breite umgesetzt werden.
Die Herausforderungen sind groß, aber die Chancen ebenso. Eine vielfältige, multifunktionale Landwirtschaft kann nicht nur die Ernährungssicherheit stärken, sondern auch zum Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen beitragen. Gelingt es, Produktivität und Biodiversität in Einklang zu bringen, profitieren Landwirte, Verbraucher und die Umwelt gleichermaßen.